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3. Mai 2022
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1. Juni 2022

Gedanken zum Monatsspruch Juni 2022

 Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm.
 Denn Liebe ist stark wie der Tod.
                                                                                            Hoheslied 8, 6a

Der Vers für den Sommermonat Juni führt uns in das mit Abstand erotischste Buch
des Alten Testaments und der ganzen christlichen Bibel: das Hohelied der Liebe,
eine Sammlung knisternder Liebesgedichte. Sie zeichnen das Bild einer Liebe
zwischen Frau und Mann, die sinnlich und stürmisch, leidenschaftlich und
hingebungsvoll, dann wieder zurückhaltend und zärtlich und in all dem rundum
beglückend ist. Wer das Buch einmal an einem Stück liest – und das muss man
tun, um diesen Vers richtig einzuordnen –, folgt den Liebenden auf Felder und
unter Granatapfelbäume; wird Zeuge, wie sich der Mann an der begehrenswerten
Schönheit seiner Freundin und die Frau an der imponierenden Gestalt ihres
Freundes ergötzt. Wer auch immer diese Texte geschrieben hat: Er oder sie wollte
nichts von der Unterscheidung zwischen einer göttlichen Liebe, einer Zuneigung
unter Freunden und der erotisch-begehrenden Liebe wissen. Die Verfasserin
kannte die Liebe. Eine Kraft, die Zuneigung und Hingabe für einen anderen
genauso umfasst wie die unbefangene Freude an der Sexualität. Diese Liebe ist
stark wie der Tod, ein schützendes Siegel auf dem Lebensweg. Diese Liebe, die
Mann und Frau so wunderbar umfassend vereinigt, ist eine Flamme des Herrn
(Vers 6b) – also eine göttliche Kraft. Dadurch wird sie zu einer Erfahrung, in der
das menschliche Leben durchsichtig wird für den Einfallsreichtum und die
Schönheit des Schöpfers. Deshalb sind diese Texte nicht in einer altorientalischen
Gedichtsammlung gelandet, sondern Teil des biblischen Kanons und somit Heilige
Schrift geworden. Sie laden uns ein diese Liebe neu zu suchen, zu bewahren, um
sie zu ringen, sie zu ehren und zu genießen; in ihr und durch sie dem
schöpferischen Grund unseres Lebens ansichtig zu werden; und dem Schöpfer zu
danken, dass er uns mit solcher Lebenskraft beschenkt.
Ja, ich weiß, die Liebe ist eine Flamme, die in den Händen von Menschen großen
Schaden anrichten kann. Ja, ich weiß ebenfalls, dass es noch ganz anderes über
die Liebe zu sagen gibt. Aber das wäre eine andere Andacht.
Deshalb: Nutzen wir doch den Sommermonat Juni, um die im Lied der Lieder
beschriebene Liebe zu hegen und zu pflegen und uns an ihr zu freuen.
Prof. Dr. Oliver Pilnei (Theologische Hochschule Elstal)