Gedanken zum Monatsspruch Juli 2023

Jesus Christus spricht: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen,                                                                            damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet.                                                                            Mt. 5, 44-45

 

Diese kurze Andacht wird nicht die Frage beantworten, wie der Krieg in der Ukraine zu einem Ende kommen und wieder Frieden werden kann. Ich werde dir, liebe Leserin und lieber Leser, auch nicht sagen, was du angesichts von Unfrieden und Gewalt zu tun und zu lassen hast. Und ich werde dich nicht mit lebenspraktischen Beispielen aus deinem Alltag abholen. Heute geht vielmehr darum, dass du ein Wort Jesu in deinen Alltag hineinlässt. Nimm dir zehn Minuten Zeit, nimm eine Bibel zur Hand und lies die Textstellen, von denen hier die Rede ist, lies vielleicht auch ein paar Verse davor und danach. Wir nähern uns dem Monatsspruch auf einem kleinen Umweg. Rabbi Hillel der Alte, der der Überlieferung nach eine Generation vor Jesus lebte, lehrte: „Sei von den Jüngern Aarons, Frieden liebend und dem Frieden nachjagend.“ Dass Aaron, der Ahnherr des Priesteradels, Jünger oder Schüler hatte, steht gar nicht in der Bibel, und es gibt eigentlich auch keine biblische Geschichte, in der er als Friedensstifter auftritt. Hillel will, so scheint mir, vielmehr sagen: Es kommt nicht darauf an, von vornehmer Abstammung zu sein, sondern: wer friedfertig ist, der ist von wahrhaft edler Art, so edel wie Aaron. In Hillels Ausspruch steckt ferner eine Anspielung auf Ps. 34,15: „Suche Frieden und jage ihm nach.“ Das Psalmwort wird auch im Neuen Testament zweimal zitiert, nämlich im Hebräerbrief (12,14) und im Ersten Petrusbrief (3,11). Auffällig ist, dass der Friede hier als etwas Flüchtiges beschrieben wird, das zu entwischen droht, wenn man ihm nicht aktiv hinterherläuft. Ähnliche Gedankengänge finden sich in der Bergpredigt Jesu. In den Seligpreisungen heißt es (Mt 5,9): „Selig die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.“ Wieder geht es darum, dass Friede etwas ist, das aktives Handeln erfordert, das nicht durch passives Aussitzen erreicht wird. „Söhne Gottes“ ist noch weitaus kühner als die Formulierung „Jünger Aarons“, die Hillel gebraucht hatte. Von wem aber werden die Friedensstifter „Söhne Gottes“ genannt werden? Anscheinend von Gott selbst, denn Jesus verwendet nach der Sitte seiner Zeit häufig das Passiv, wenn er von Gott als dem Handelnden spricht. Warum aber „Söhne“ und nicht auch „Töchter“? Auch die Frauen sind gemeint. Wieder ist es die Ausdrucksweise der Zeit. Damals sprach man von einer Gruppe von Menschen, zu der sowohl Frauen als auch Männer gehören, im Maskulinum Plural, und so haben wir es ja auch im Deutschen bislang meist getan. Die Lutherbibel 2017 will es besser machen und übersetzt inklusiv „Kinder Gottes“. Aber das könnte zu falschen Assoziationen führen. Es gibt fromme Erwachsene, die meinen, als Christin oder Christ dürfe oder solle man wieder so einfältig werden wie ein kleines Kind. Das wäre manchmal ja auch ganz bequem, denn ein Kind trägt keine Verantwortung für sein Handeln. Das ist aber im Text nicht gemeint. Es geht hier nicht um kleine Kinder, sondern um erwachsene Söhne und Töchter. „Söhne“ ist so zu verstehen, dass diejenigen, die Frieden tun, mit ihrem Handeln dem Wesen, der Art Gottes entsprechen, dass sie Anteil an Gott haben. Entsprechend redet unser Herr von „Söhnen des Königreichs“ (Mt 8,12), „Söhnen der Auferstehung“ (Mt 20,36), „Söhnen des Friedens“ (Lk 10,6) und „Söhnen des Lichts“ (Lk 16,8). Es geht bei dieser Redeweise also nicht um eine emotional aufgeladene Vater-Kind-Beziehung, sondern um Anteil an, oder Entsprechung mit, einer Eigenschaft oder Wesensart. Das Friedenshandeln, zu dem Jesus seine Schülerinnen und Schüler anleitet, hat seine Begründung im Wesen Gottes und nicht in der strategischen Aussicht auf Erfolg. Dieser mag sich zwar zuweilen einstellen, etwa in einfachen Alltagskonflikten, wenn wir boshaftes Verhalten nicht mit gleicher Münze heimzahlen und dadurch unser Gegenüber entwaffnen. Aber in dem Abschnitt, in dem unser Monatsspruch steht, werden Situationen geschildert, die schon aus dem Ruder laufen: Da erleidet jemand grobes Unrecht und will immer noch den Frieden, lässt sich nicht verleiten zu Hass und Rache, obwohl das nach menschlichen Maßstäben völlig gerechtfertigt wäre. Wie gesagt, es gibt wohl keine einfache Antwort auf die Frage, wie wieder Friede werden kann angesichts der gegenwärtigen militärischen Konflikte. Für heute mag es genügen, dass wir mit der Sehnsucht nach einem Leben gemäß dem Wesen Gottes in den Alltag gehen, denn „Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“ (1Joh 4,16).

Martin Rothkegel (Theologische Hochschule Elstal)

Gedanken zum Monatsspruch Juni 2023

Gott gebe dir vom Tau des Himmels und vom
Fett der Erde und Korn und Wein die Fülle.
                                                                         1. Mose 27, 28

„Bist Du glücklich?“ Wann hat Ihnen jemand das letzte Mal diese
Frage gestellt? Ich meine nicht die eher beiläufige, häufig floskelhafte
Frage „wie geht’s?“, sondern die unvoreingenommene, ganz offene,
ehrliche und interessierte Frage nach Ihrem persönlichen
Wohlergehen. Würden Sie von sich sagen, dass Sie glücklich sind?
Finden Sie diese Frage eher leicht oder schwer zu beantworten? Falls
Sie zögern – an welcher Stelle spüren Sie den inneren Widerstand?
Was gehört für Sie unbedingt dazu, um sagen zu können: „Ja, ich bin
glücklich!?“
Ich vermute, die Frage nach dem Glück war im alten Israel auch keine
alltägliche. Die Bibel schildert, wie in besonderen Lebenssituationen
Menschen einander den Segen Gottes zugesprochen haben. Dann
war man nicht geizig mit Wünschen, sondern hat quasi alle Register
gezogen. Das zeigt der aktuelle Monatsspruch, ein Ausschnitt aus
dem Gespräch zwischen Jakob und seinem Vater Isaak. Isaak segnet
seinen Sohn (den er an dieser Stelle noch für den erstgeborenen
Esau hält) mit dem Besten, was man sich zu damaliger Zeit nur
vorstellen konnte: mit dem „Tau“ des Himmels – obwohl Regen selten
verlässlich fiel –, dem „Fett“ der Erde – auch wenn der Acker meist
nur mühsam seinen Ertrag lieferte –, mit „Korn und Wein“ die Fülle –
obwohl der Hunger ein ständiger Begleiter war. Gewünscht wird kein
Durchschnitt, kein „Mehr-oder-weniger-gut-durchkommen“, sondern
die ganze Lebensfülle. Was würden Sie sagen, wenn man Ihnen so viel
Gutes wünschen würde?
Ich wünsche Ihnen das Beste!
Prof. Dr. Dirk Sager

 

Monatsspruch Mai 2023

Weigere dich nicht, dem Bedürftigen Gutes zu tun, wenn deine Hand es vermag.

                                                                                                                                                                          Spr. 3, 27

Der Monatsspruch enthält eine Mahnung, die es in die biblische Sammlung der Sprüche, also der Lebensweisheiten Israels geschafft hat. Eine Ermahnung zur Gebefreudigkeit, die im folgenden Vers noch um die Aufforderung erweitert wird, diejenigen, die um Hilfe bitten, nicht auf den nächsten Tag zu vertrösten, wenn eine direkte Unterstützung möglich ist.

Natürlich hat dieser Bibelvers die harte antike Lebenswirklichkeit vor Augen. Wer seinen Lebensunterhalt nicht durch Arbeit verdienen konnte, der war auf mildtätige Hilfe angewiesen. Es gab weder eine Renten- noch eine Kranken- noch eine Arbeitslosenversicherung. Allenfalls die eigene Familie war zu Unterstützung verpflichtet, aber wenn auch die ausfiel, dann war das Betteln die einzige Möglichkeit zum Überleben.

Aus diesem Grund sind im Alten Testament die Witwen und Waisen sowie die Fremden, die keine Familien haben, die typischen Vertreter der Armut. Der Gott Israels aber erweist sich immer wieder als der Vater und Anwalt dieser Witwen und Waisen (z.B. Psalm 68,6) und als Beschützer der Fremden (z.B. Lev 19,33f). Er hat es seinem Volk zur Aufgabe gemacht, die Rechte der Ärmsten in der Gesellschaft zu schützen und sie mit dem zu versorgen, was sie zum Leben brauchen. Und daher waren Hartherzigkeit und die Weigerung zu helfen ein Widerspruch zu jeder echten Frömmigkeit.

Heute haben alle von Armut betroffenen Gruppen im Sozialstaat einen Rechtsanspruch auf elementare Versorgung durch die Gemeinschaft der Steuerzahler. Und manche leiten daraus ab, sie hätten durch ihre Sozialversicherungsbeiträge und Steuerzahlungen ihre Pflicht zur Hilfe bereits erfüllt. Der Monatsspruch aber fragt nicht danach, wieviel schon gegeben wurde, sondern danach, was die Hand noch vermag. Wieviel ist noch im Portemonnaie? Welche Kraft ist noch da? Wieviel Zeit ist noch frei? Welche Kompetenzen habe ich? Das ist entscheidend.

Wie damals kann auch heute die Gemeinschaft nicht alle Lebensrisiken abdecken. Alleinerziehende mit Kindern sind z.B. in Deutschland die am stärksten von Armut betroffene Gruppe und das wirkt sich auf die Zukunfts- und Gesundheitschancen dieser Kinder extrem negativ aus. Welche finanzielle Unterstützung können wir ermöglichen, welche Zeit ihnen widmen, um sie zu entlasten? Welche Konzepte wechselseitiger Unterstützung können wir entwickeln und welchen politischen Druck aufbauen, damit sie mehr Rechte und eine bessere Versorgung erhalten?

Oder wir nehmen die Not der Geflüchteten, die Überforderung junger Familien, die fehlende therapeutische Versorgung psychisch Erkrankter, die Opfer von sexualisierter Gewalt oder die alleingelassenen Alten. Die Not der Einzelnen kann auch in einer reichen Gesellschaft groß sein, und dann braucht es diejenigen, die sich mit dem, was sie haben, dem, was sie wissen, oder dem, was sie organisieren können, aktiv werden.

Niemand kann alle Nöte dieser Welt beheben. Aber wenn alle Bürgerinnen und Bürger an den Stellen, an denen ihnen ein konkreter Hilfebedarf persönlich im Leben begegnet, ihre Hände nicht verschließen, dann wird diese Welt eine bessere Welt sein. Wenn wir an der einen Stelle, an der wir besonders kompetent sind, an der einen Stelle, an der unsere Hand etwas vermag, uns einsetzen, dann handeln wir im Sinne des Gottes, der uns unser Geld, unsere Zeit, unsere Kraft, unser Einfühlungsvermögen und unser Wissen vor allem deshalb gegeben hat, damit wir damit Gutes für die Bedürftigen bewirken können.

(Prof. Dr. Ralf Dziewas, Theologische Hochschule Elstal)